Blog

Wie wird der Markt bloß erwachsen?

Veröffentlicht am 14. Juni 2015 um 20:56 von Anna Gyapjas
Kulturwissenschaftler Thomas Macho über "Schulden, Schuld und Verantwortung"

Kulturwissenschaftler Thomas Macho über den Schuldbegriff

Dreifaltigkeit gab es am Sonntagmorgen zum Auftakt des dritten und letzten Konferenztages. Wenn auch nicht an jedem Punkt eine heilige: Thomas Macho (Kulturtheoretiker), Klaus von Stosch (Theologe) und Birger P. Priddat (Ökonom, Wirtschaftsphilosoph) diskutierten „Schuld, Schulden und Verantwortung“. Zum Start: die linguistische Dreifaltigkeit der Schuld, direkt aus dem Duden:

Thomas Macho faltet sie aus, die drei Bedeutungsfelder der „Schuld“:

1. Kausal interpretiert: Hier bedeutet „Schuld“ das Verantwortlichsein für etwas, im schlimmsten Fall für etwas Unangenehmes. Genealogisch gesehen steht der Mensch immer in der Schuld seines Erzeugers, seiner Vorfahren, sogar in der Schuld Gottes, denn: ohne ihn keine Existenz.

2. Moralisch interpretiert: Ein bestimmtes Verhalten vestößt gegen die Normen. Das Gute: Diese Schuld ist sühnbar.

3. Ökonomisch interpretiert: Hier steckt die Schuld in den „Schulden“, im Betrag, den man jemandem „schuldig“ ist. Es ist eine Schuld, die – wie man seit der Finanzkrise weiß – auch nicht zwangsläufig beglichen werden muss.

Macho spricht von Schuldtransformationen, davon, wie aus ökonomischen Schuldnern moralische Schuldner werden. Ein unbehagliches Gefühl macht sich breit, wenn man Machos Beispiel regressiver Transformation folgt: Aus dem verschuldeten Griechenland wurde im Handumdrehen der Sündenbock einer ganzen Staatengemeinschaft. Das wiederum führte zur Identitätskrise der EU: Sie musste sich mit Zugehörigkeitsfragen auseinandersetzen, um ihre Verantwortung gegenüber den Griechen zu klären.

In der Praxis kommen sich die drei Aspekte des Schuld-Begriffs andauernd in die Quere. Wie die Verflechtung der interpretativen Ebenen aufgehoben werden kann, darauf läuft Thomas Machos Vortrag hinaus: Verzicht und Verzeihung sind die zwei modi operandi, die zur Aufhebung von Schuldgefühlen führen und die Fesseln des Schuldners, die ihn schier bis ins Unendliche an seine Gläubiger binden, durchtrennen. Dei Lösung könnte darin liegen, sich von den Fesseln der Vergangenheit zu befreien.

Doch was braucht es zu dieser Emanzipation? Mehr individuelle Eigeninitiative, mehr Mut zum Gemeinsinn – oder neue Institutionen, die die neue Verbindlichkeiten der modern economy aushandeln? Wer trägt für wen Verantwortung?

Zwei Standpunkte

Laut Klaus von Stosch sind es im theologischen Verständnis weniger die Institutionen, die die Hauptpflicht der Gesellschaft tragen, als das Individuum. Nicht der Markt oder die Banken regulieren die Gesellschaft und sorgen dafür, dass alles “gut läuft”. Gott hat es vielmehr dem Menschen, jedem Einzelnen, auferlegt, durch Liebe und Vertrauen eine nachhaltige und verantwortungsvolle Ökonomie zu gestalten. Die Krise des Wachstums ist so auch eine Glaubenskrise; man kann beides nicht voneinander unterscheiden. Die ökonomische Schuld ist in diesem Sinne auch eine moralische Schuld. Untrennbar sind beide Dimensionen schon im Vaterunser vereint: “Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.” Was braucht der Markt also? Er braucht Religion. Er braucht Tugend. Religiöses Vertrauen und Liebe können dem Markt zum “Erwachsenwerden”, zu einem nachhaltigen und gesunden Wachstums verhelfen. Dafür bedarf es der „Unterbrechung“; denn Religion ist nach Johann Baptist Metz als „Unterbrechung“ definiert. Individuuen sollen tugendethisch gestärkt werden, um den Markt und die Ökonomie mehr in den Dienst des Mensches zu stellen. (sp)

Ginge es nach Birger P. Priddat, würde keine religiöse Moral an die Ökonomie herangetragen. Die Bibelgleichnisse seien auf die New Economy gar nicht übertragbar, sie stammen aus einem anderen Jahrhundert des Geistes. Zumal, wie der Professor für Volkswirktschaft und Philosophie ausführt, die Ökonomie ohnehin nicht „das Wilde“ repräsentiert, das durch moralische Prinzipien zu bändigen ist. „Moral ist keine Instanz“, bemerkt Priddat, und damit disqualifiziere sie sich als sinnvolle Entscheidungsgrundlage. Statt auf die individuelle Moral setzt Priddat auf Institutionen. Institutionen organisieren Gemeinschaften und die Verbindlichkeiten des Marktes. Zumindest idealerweise. Der Grund, warum die Wirtschaft in der Moderne strauchelt, liege in der Desinstitutionalisierung. Derivate hält Priddat für ein geeignetes Beispiel: Die waren vor einigen Jahren noch verboten! Die Krise der modernen Wirtschaft, so schließt Priddat seine kurze Replik auf seine zwei Vorredner, ließe sich mit der Frage nach einer neuen, gattungsimmanenten Kultur der Ökonomie klären. (agy)


Moderator Stephan Schaede, Birger P. Priddat, Thomas Macho, Klaus von Stosch (v.l.)

Moderator Stephan Schaede, Birger P. Priddat, Thomas Macho, Klaus von Stosch (v.l.)

Impressum