Konferenz
Den Zusammenhang von Religion und Wachstumsdenken zum Thema zu machen, heißt, der Gesellschaft die Gretchenfrage zu stellen: Wie hält sie es mit der Religion, nachdem sich die Säkularisierungserzählungen erschöpft haben? Und wie mit dem Wachstum, wenn die Ökonomie zum Gegenstand von Glaubenskritik wird?
Das Wachstumsdenken – die Vorstellungen und Erwartungen stetiger Zunahme von Wissen, Kapital oder technischen Fertigkeiten – sind immer schon eng mit religiösen Motiven, Begriffen und Überzeugungen verflochten, aber enger und folgenreicher als allgemein bewusst. Vor allem die drei monotheistischen Religionen Judentum, Islam und Christentum haben die westlichen ökonomischen Systeme und deren Bilder von Wachstum entscheidend geprägt. Es sind keine Äußerlichkeiten, dass Marktplätze neben Kirchen, Moscheen oder Synagogen liegen, dass Begriffe wie Schuldner und Gläubiger, Kredit und Messe, Erlös und Testament sowohl in ökonomischen als auch religiösen Bezirken zu Hause sind und dass Gott wie Geld auf Beglaubigung und Vertrauen angewiesen bleiben. Und es sind solche Zusammenhänge, die für jede der drei monotheistischen Religionen auf ihre eigene Weise typisch sind. Zugleich sind Judentum, Islam und Christentum historisch wie theologisch eng miteinander verflochten und entfalten gerade so ihre prägende gesellschaftliche Kraft, auch hinsichtlich des Wachstumsdenkens.
Welche Rolle spielen demnach die Religionen in den heutigen, konsum-, steigerungs- und wettbewerbsorientierten Gesellschaften? Hemmen oder befördern sie das Denken und Handeln in Wachstumsparametern? Ist der moderne Wachstumsglaube auf religiösem Boden entstanden? Sind Religionen damit auch mentale Wegbereiter der weltweiten Wirtschafts- und Demokratiekrise? Oder können sie umgekehrt ein Mittel sein, diese zu bewältigen? Vermögen sie womöglich zu helfen, einen dritten Weg der Moderne zu finden, der die Dilemmata der Wachstumsgesellschaft überwindet?
Das waren die Leitfragen dieser Konferenz. Religionen stellten für sie kein bloßes Residuum des Irrationalen dar, kein Gegenbegriff zum Wissen, nichts also, das durch Aufklärung etwa überwunden werden müsste oder könnte. Die Konferenz fasste sie vielmehr als eine lebendige Erfahrungsweise auf, als ein nach wie vor wirksames kulturelles Erbe und als ein Mittel der Zukunftsgestaltung. Dementsprechend wurden auch Wachstumsdenken und Ökonomie nicht als bloßer Ausdruck von Herrschaftsstrukturen oder unsichtbaren Händen verstanden, die sie geheimnisvoll steuern. Religionen wie ökonomisches Wachstumsdenken gründen auf Hoffnungen, Versprechen und ein Jenseits der Gegenwart. Ist hier einer der Gründe ihrer dichten Beziehung zu suchen? Oder finden sich gerade an diesem Punkt die entscheidenden Differenzen von Religion und Ökonomie?
Die Konferenz führte damit mitten in Diskussionen, die derzeit mit zunehmender Intensität geführt wurden. Die Religion ist im Westen in den vergangenen Jahren verstärkt in die Aufmerksamkeit zurückgekehrt, sei es in den Debatten um eine postsäkulare Gesellschaft oder durch die Ausbreitung fundamentalistischer und terroristischer religiöser Strömungen. Und spätestens seit der Finanzkrise 2008 sind Ökonomie und Wachstumsdenken zum Gegenstand anderen Nachdenkens und neuer Kritik geworden. Aus welchen Wünschen und Ängsten speist sich diese gegenwärtige Wachstums- und Kapitalismuskritik? Woher rührt der umfassende, schmerzlich verspürte Verlust von Utopien, von gesellschaftlicher Zukunftsphantasie? Und welchen Stellenwert haben dabei die Religionen?
Dirk Pilz, Kurator
Konzept & Leitung: Dirk Pilz
Idee: Friederike Tappe-Hornbostel, Kulturstiftung des Bundes
Verantwortung Campus und Wissenschaftliche Mitarbeit: Alexander Klose
Produktion & Beratung: sauerbrey | raabe . büro für kulturelle angelegenheiten
“Ihr aber glaubet” – Über Religion und Wachstumsdenken
Eine internationale Konferenz der Kulturstiftung des Bundes
12.-14.06.2015, Kölnischer Kunstverein (Konferenz) und Schauspiel Köln (“Ihr aber glaubet”-Campus)