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Kinder sind so weise…

Veröffentlicht am 13. Juni 2015 um 17:49 von Anna Gyapjas

teamGLOBAL mit dem Workshop „Bruttoinlandsglück“ beim Campus

Zwei Dutzend Menschen, jung und alt, stehen im Kreis vor einer Wand, die mit „Ihr aber glaubet“-Plakaten tapeziert ist. Ihre Augen sind geschlossen, einige lächeln unsicher vor sich hin. Eigentlich müsste ich mich da jetzt auch einreihen. Auf den Blog soll nämlich ein „wahnsinnig subjektiver, eindruckslastiger Text“ über den Campusbeitrag des Jugendnetzwerks teamGLOBAL… Ist ja gut, ich mach‘ mit. Aufgestanden. Eingereiht. Augen zu.

IMG_Augenzu

… und durch. Energizer-Übung beim Campusworkshop von teamGlobal.

Wie der junge Mann links von mir und die ältere Frau rechts von mir, warte ich jetzt darauf, dass ich an der linken Schulter berührt werde. Dann nämlich darf man seine Augen öffnen, kurz schauen, was der Nachbar von links einem vortanzt, und es ihm dann gleich machen, indem man sich an den Nachbar an der Rechten wendet. Die Augen noch immer geschlossen, höre ich in kurzen Abständen Fußgetrappel; mal schwerer, mal leichter. Ich überlege, wie die Bewegung dazu aussehen könnte: Hampelmann? Pferdchensprünge?

IMG_Vormachen

Stille Post auf Pantomimisch: Ein älterer Teilnehmer übergibt die Nachricht.

Trotz mentaler Vorbereitung kommt die Berührung an der Schulter plötzlich: Mein linker Nachbar springt auf und ab, fuchtelt mit den Armen. Alles klar, das kriege ich hin. Doch als ich mich zu meiner rechten Nachbarin wende, hat sie bereits die Augen geöffnet.

Es ist eine pantomimische Version von Stille Post, bei der sich die „wandernde Geste“ langsam verwandelt, mit der Politologin Katharina Sabatzki und ihr Kollege Stefan Habrik vom teamGLOBAL ihr Projekt „Bruttoinlandsglück – Wirtschaft neu denken” auf dem Campus eröffnen. Mit solchen sogenannten Energizern verdeutlichen die Teamer normalerweise an Schulen, wie komplex Kommunikation ist. Wie viel komplexer Globalisierung ist, wird dann anhand einzelner Themen erarbeitet. Zum Beispiel anhand der Themenkreise Identität, Migration – oder dem Bruttoinlandsglück.

Anregende Bildungsarbeit

Was sonst mit Fünfklässlern durchgespielt wird, testen die Teamer heute an den erwachsenen Campusbesuchern. Ich gehe zunächst mit Zweifeln in die Runde. Süß, gleich wird mir gezeigt, wie kreativ Bildungsarbeit aussehen kann, denke ich mir voreingenommen. Doch es ist überraschend anregend, wie persönlich die Teilnehmer die Handlungsanweisungen von Sabatzki nehmen.

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Das Koordinatensystem des Glücks. Kurz nach innen gehorcht: Wie glücklich bin ich eigentlich?

Auf dem Boden ist ein Koordinatensystem abgeklebt. Auf der x-Achse: Die Relevanz von Geld, auf der y-Achse: der empfundene Grad der Glücklichkeit. „Verteilt euch mal entlang der y-Achse“, lautet die erste Aufforderung. Fast geschlossen stellen sich die Leute in die obere Hälfte des Koordinatensystems. Ein Blick auf die Füße, einige korrigieren ihre Position nach unten, nach oben. Dann sollen wir über die Abhängigkeit unseres Glückes vom Faktor Geld nachdenken. Zögern, dann verteilt sich der zunächst geschlossene Tross entlang der x-Achse.

Interaktiv aufgestellt

Das absolute Glücksempfinden weicht einem relativen. Die Meisten stehen im ersten Quadranten, ich stehe mit Malte Beisenherz und einigen anderen Mutigen, die sich zu ihrer monäteren Abhängigkeit bekennen, im zweiten. Malte lehnt sich herüber und raunt mir zu: „Ins Kino gehen, Essen gehen mit Freunden, ich weiß schon, wo mein Geld bleibt“. Ich nicke ihm konspirativ zu und wende mich dann wieder zur Gruppe hin: Inzwischen werden fleißig die Ursachen für die neue Aufstellung beigesteuert: Liegt es daran, dass wir Geld mit Arbeit, und daraus abgeleitet, mit Geld konnotieren?, wird überlegt. Es läuft interaktiv – im besten Sinne.

Und so bleibt es auch, als Sabatzki uns auffordert, mit dem Begriff „Bruttoinlandsglück“ (BIG) etwas anzufangen.

IMG_sabatzki_habrik

Workshop-Leiter Sabatzki (re.) und Habrik (li.) sind sonst in Klassenzimmern unterwegs.

Ausnahmslos alle im Stuhlkreis Anwesenden – vorwiegend Mitwirkende am Campus, aber auch einige Besucher – äußern sich. Mal engagierter mit direktem Einwurf, mal mit zögerlichem Handheben. Man macht sich Gedanken.

Diffuse Diskussion

Den Startschuss gibt ein junger Theatermacher mit dichten Locken: Butan würde seine Politik doch an einem Glücksindex orientieren. Begriffe wie „Sicherheit“ und „individuelle Freiheit“ fallen, es wird diffus. „Ist hier jemand in einem kommunistischen Land aufgewachsen?“, man will vergleichen, um besser zu verstehen. Als Indikatoren für das BIG werden eine Liebesverteilung, die Anzahl der Neugeborenen, der Freunde und der Dopaminhaushalt vorgeschlagen. Letztere Eingebung wird mit Lachen aufgenommen, aber nicht verlacht: Ziemlich viele in der Runde nicken zustimmend.

Eine Dame mit Perlenschmuck wirft, nach einigen vergeblichen Anläufen energisch ein: „Das ergibt aber doch wieder nur eine Momentaufnahme!“ Der Dopamintest wird verteidigt, es wird wuselig, die Diskussion franzt aus und wird zwischen Sitznachbarn verhandelt. Da sind die Campusteilnehmer wie Schulkinder: leicht ablenkbar durch die eigenen Einfälle.

Als die Teamer den Hauptgesprächsfaden wieder bündeln, bringt eine Besucherin noch ein Totschlagargument: Wozu überhaupt die Frage? Ist unser Alltag schon so durchökonomisiert, dass wir auch den Glücksfaktor zwanghaft messen wollen?

All you need is…

Der BIG-Workshop kann nur Antworten auf das Wie von komplexen Fragestellungen geben; er ist ein Klärungsversuch, der die Frage nach den Gründen gar nicht stellt.  Erkenntnisse hat man dabei trotzdem genug:

1. Dort, wo der Glückszustand durch Konsum zu erreichen ist, ist das Streben danach mühselig und führt – genau – zum Gegenteil.

2. Mit dem Erwachsenwerden korreliert die Entfremdung vom eigenen Glücksbegriff. Kinder beantworten die Frage nach Glück auf der persönlichen Ebene. Ihre Antworten scheinen basal.

All you need is: Gesundheit. Freunde. Familie.

So einfach hat niemand gedacht. Mit analytischem Blick haben sich die Campusteilnehmer den gesellschaftlichen Aspekten von Glück genähert, und die Umsetzung ihrer Ideen gleich mitgedacht.

„Kinder sind so weise.“ Fast schuldbewusst erklingt diese Feststellung, nachdenklich nicken viele mit. Ich rolle unwillkürlich mit den Augen: Diese Wertung ist doch nicht zielführend! Aber zum Glück übernimmt Malte die Argumentation gegen die fälschlicherweise attestierte Erwachsenenblindheit. Ich lehne mich zurück, von der Vielschichtigkeit der Frage nach dem BIG überwältigt, und verbünde mich insgeheim nun doch mit denen, die in Kindern die großen Glücklichkeitsweisen sehen: Etwas weniger um die Ecke denken ist eigentlich auch ganz erhellend.

Ein Kommentar zu “Kinder sind so weise…”

  1. Der campus war eine höchst gelungene Einstimmung auf den Kongress – und in gewisser Hinsicht lebendiger als der Kongress, von dem ich allerdings auch sehr inspiriert bin!
    A. T.

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