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Richter, Propheten, Dorfdeppen

Veröffentlicht am 13. Juni 2015 um 13:09 von Eva Kelley

Wolfram Eilenberger ist Experte für Kultur- und Moralphilosophie und auf der Konferenz als Moderator auf mehreren Podien aktiv. Er weiß, wie man komplexe Sachverhalte allgemeinverständlich aufbereitet. Als Chefredakteur des „Philosophie Magazins“ beschäftigt er sich aus philosophischer Sicht mit den alltäglichen Fragen des Lebens. Er selbst bezeichnet sich als „Journosophen.“ Jemand, der einen Übergang schafft, zwischen der journalistischen und der akademischen Welt. Eva Kelley hat sich mit Wolfram Eilenberger über den Sinn der Philosophie, ihrer Funktion in der Gesellschaft und Fußball unterhalten.

wolfram-eilenbergr-3-180xVarBlog „Ihr aber glaubet“: Herr Eilenberger, Sie bezeichnen sich auf Ihrer Twitter-Seite als „Fußballfetischist“. Können Sie eine ethische Fragestellung beispielhaft beantworten anhand einer Situation im Fußball?

 Ja, es gibt ganz direkte Fragen, die man mithilfe von Fußball betrachten kann. Ist es beispielweise besser, mit einem Foul zu gewinnen, als dieses Foul zu unterlassen und zu verlieren? Das ist eine konkrete Frage, die sich Spieler stellen. Man könnte ein taktisches Foul setzen in der letzten Minute, was natürlich dem Geist des Spiels widerspricht, aber man tut das, weil man mit der Mannschaft gewinnen will. Das sind die kleinen Schweinereien des Lebens. Dann stellt sich die Frage: Kann man einen Sieg genießen, der unfair zustande gekommen ist? Es gibt erstaunlich viele Menschen, die das offenbar können. Sokrates würde jetzt sagen „Nein, das können sie nicht. Sie glauben nur, dass sie es genießen, weil sie sich selbst nicht genug kennen.“

Im Fußball wird man außerdem ständig in Situationen gebracht, in denen man für Dinge verantwortlich gemacht wird, für die man gar nichts kann. Man steht am Anfang einer Handlungskette, die einen Verlauf nimmt, den man nicht übersieht und wird dann für das Ergebnis moralisch verantwortlich gemacht. Das nennt man in der Philosophie „das Problem des moralischen Zufalls.“ Dieses Problem kann man im Fußball wahnsinnig gut zeigen. Ich glaube, Fußball ist ein Spiel, in dem man sich klar machen kann, dass man sehr wenig in der Hand hat. Es ist ein Spiel, das besonders eng mit der Musik des Zufalls tanzt. In dem Sinne kann man von Fußball viel lernen, weil es uns von einer Kontrollillusion heilt, die wir alle gerne unterstützen.

Außer „Fußballfestischist“ sind Sie Chefredakteur des „Philosophie Magazins“. Welches Publikum erreicht Ihr Magazin?

Wir erreichen ein ganz breites Publikum. Von jüngeren Menschen, die sich für Philosophie interessieren, bis hin zu Pensionären, die noch mal die wesentlichen Fragen des Lebens überdenken wollen. Die Philosophie hat eigentlich kein Alter. Sie hat eher Phasen. Schon ein fünfjähriges Kind stellt Fragen, die philosophisch sind. Das Magazin ist für alle, die bereit sind, ihre eigenen Fragen ernst zu nehmen.

Wen stellen Sie sich als idealen Leser vor?

Ich glaube, das wäre ein Leser, der kein Philosoph ist, aber interessiert und bewusst mit seiner Umwelt, seinen Entscheidungen und Herausforderungen umgeht. Ein Leser, der auch schon immer das Gefühl hatte, dass in der Philosophie vielleicht eine Sprache, ein Denken, eine Herangehensweise vorherrscht, die ihm etwas bedeuten könnte. Ich glaube tatsächlich, dass sich viele Menschen täglich philosophische Fragen stellen und ihnen oft nur die Energie, die Anleitung, die Zeit oder auch der Kontext fehlt, um diesen Fragen nachzugehen.

Wie hebt sich Ihr Magazin von anderen philosophischen Publikationen ab?

Wir sind eines der ganz wenigen Magazine, die als Titelthema immer nur eine Frage haben. Das ist natürlich auch ein Philosophieverständnis, das wir pflegen. Heidegger sagte: „Fragen ist die Frömmigkeit des Denkens.“ Und tatsächlich ist mit der Kunst, die richtigen Fragen zu stellen, oft sehr viel mehr gewonnen, als scheinbar richtige Antworten zu geben. Es gibt natürlich auch Philosophen, die meinen, man muss begründen und angewandt konkret ethische Antworten geben. Wir sind kein akademisches Magazin und unterscheiden uns so von allen akademischen philosophischen Publikationen. Wir sprechen nie über Philosophie. Wir heißen zwar „Philosophie Magazin“, aber die Themen, die wir beleuchten, sind Themen, die auch in gesellschaftlichen, kulturellen Magazinen besprochen werden. Wir versuchen dann zu zeigen, was man philosophisch gewinnt, wenn man sich diese Fragen so stellt. Wir machen keine Kongressberichte. Wir spekulieren nicht, wer auf welche Professur berufen wird. Die philosophisch akademische Welt interessiert uns nicht als Gegenstand. Der Claim des Magazins lautet ja „Die Welt mit philosophischen Augen betrachten“ und das tun wir. Das heißt aber nicht, dass wir die Philosophie mit philosophischen Augen betrachten. Das überlassen wir anderen Magazinen. Wir versuchen, die Texte so zu gestalten, dass es keine Voraussetzung ist, Philosophie studiert zu haben. Wir sind kein Fachmagazin. Wir sind ein Magazin, das einen spezifischen Ansatz hat: Die Fragen, die uns alle beschäftigen, zu bearbeiten.

Wo liegt der Wert eines Philosophen in der Gesellschaft?

 Von Werten rede ich nicht so gern, weil ich gar nicht weiß, ob es die gibt und was die denn wären. Aber von Funktionen kann man sprechen. Es gibt in der Philosophie die Funktion des Dorfdepps, der Dinge tut, die andere nicht tun sollten und indem er sie tut, markiert er, dass andere sie nicht tun sollten. Die Funktion des Narren ist eine originär philosophische Funktion. Sokrates war der Narr. Dann gibt es Philosophen, die eher wie Richter funktionieren. Man hat eine Streitfrage und versucht mit verschiedenen Perspektiven auf diese Frage zu schauen. Kant war so ein Richter. Dann gibt es eine medizinische Funktion. Die Philosophie untersucht die Krankheiten einer Kultur und auch einzelner Menschen. Eine klassische medizinische Funktion der Philosophie zeichnete zum Beispiel Spinoza aus. Dann gibt es noch eine prophetische Linie. Die sagt, der Philosoph sieht Dinge, die andere nicht sehen. Er tritt als Mahner und Warner auf. Heidegger wäre eine Prophetengestalt. Wir versuchen im Magazin auch immer, diese vier Aspekte der funktionalen Differenzierung zu beleuchten.

In welcher Funktion würden Sie sich denn sehen?

 Dann müsste ich mich erst mal als Philosoph im eminenten Sinne sehen und ich weiß nicht, ob das eine Beschreibung ist, die mir steht. Ich würde mich eher als „Journosoph“ sehen. Jemand, der einen Übergang schafft. Ich füge jetzt noch eine fünfte Funktion zu den genannten hinzu und zwar die, des „Hermes.“ Hermes vermittelte zwischen den Göttern und den Menschen. Unser Magazin ist so was, wie der Hermes zwischen der Akademie und dem Alltag und wir versuchen in beiden Richtungen aktiv zu sein.

 Wie kann man Philosophie in der Gesellschaft populärer machen?

Die Frage so zu stellen, setzt schon voraus, dass das Problem aus der Philosophie kommt. Und das glaube ich nicht. Ich glaube eher die Frage ist: Warum ist Philosophie, so wie sie jetzt ist, so weit weg von der Gesellschaft? Ich glaube, wir müssen das Problem anders angehen. Die meisten Menschen haben ein ganz natürliches Bedürfnis, sich über sich selbst argumentativ zu verständigen. Wir haben in unserer Gesellschaft die Philosophie zu einer akademisch betriebenen Wissenschaft gemacht. Im Prinzip haben wir sie auf ein Podest gestellt und himmeln sie an. Aber wir himmeln sie an, um sie vermeiden zu können. Es ist dazu gekommen, dass Menschen denken, nur Philosophen könnten philosophieren. Wieso ist die Philosophie überhaupt nicht mehr in unserer Mitte? Ich glaube, man kann das rückgängig machen. Klar, man kann nicht lange philosophieren, ohne eine Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte. Aber Philosophie muss nicht so unzugänglich, abstoßend und elitär sein, wie sie sich zeigt. Und das versuchen wir mit dem Magazin deutlich zu machen.

Philosophie für alle?

Philosophie für viele.

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