Die Tür zum Priesteramt bleibt zu
In ihrem Konferenzvortrag zum Veranstaltungsblock „Zeiten der Zukunft“ spricht die katholische Theologin und Religionsphilosophin Saskia Wendel über das Zeitverständnis monotheistischer Religionen und seinen Einfluss auf das Zeitempfinden unterschiedlicher Kulturen. Wie sich theologische, soziale und kulturelle Grundsatzfragen verknüpfen, untersucht die Lehrstuhlinhaberin an der Universität zu Köln in ihrer weiten Forschungsarbeit auch an anderen Kategorien: so an Konzepten der Geschlechteridentitäten. Wendel gilt als eine der einflussreichsten GendertheoretikerInnen der katholischen Gegenwartstheologie. Moment mal, Gendertheorie? Judith Butler auf der Kanzel? Anna Gyapjas vom Blog „Ihr aber glaubet“ hat im Vorfeld der Konferenz nachgefragt, wie diese zwei Lehren zusammengehen.
Blog „Ihr aber glaubet“: Die Gender Studies sind eine junge Diszplin, die sich in den 1960er und 70er Jahren aufgestellt hat. Seit wann wird Gendertheorie in der katholischen Theologie rezipiert?
Saskia Wendel: In der Katholischen Theologie sind bereits Ende der 60er Jahre im Zuge der Neuen Frauenbewegung und der damit verknüpften Feministischen Theoriebildung unterschiedliche Richtungen Theologischer Frauenforschung und Feministischer Theologie entstanden, die sich vor allem einer kritischen Re-Vision der christlichen Tradition widmeten. Unter dem wachsenden Einfluss gendertheoretischer Entwürfe seit Beginn der 90er Jahre kam es zu einem Paradigmenwechsel hin zu theologischer Geschlechterforschung, die nicht mehr nur aus der Perspektive von Frauen betrieben wird, sondern unter dem Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit auch diejenige von Männern einbezieht, und die auch stärker als bisher auf die sex/gender-Thematik reflektiert.
Unter welchen Gesichtspunkten wird versucht, Gendertheorie und Religion zusammenzudenken? Wo liegen die Überschneidungen?
Es geht vor allem darum, aus gendertheoretischer Perspektive den vielfältigen, kontextuell gebundenen Konstruktionen von „Geschlecht“ und deren Bedeutung für religiöse Überzeugungen und Praxen auf die Spur zu kommen, die bis dato eine enorme Wirkungsgeschichte entfaltet haben – nicht nur innerhalb konkreter Religionsgemeinschaften respektive der christlichen Kirchen, sondern auch in gesellschaftlichen Diskursen.
Bei einem Ihrer aktuellen Forschungsprojekte untersuchen Sie einen zentralen theologischen Begriff aus gendertheoretischer Perspektive: den „Leib Christi“. Auf welche Erkenntnisse zielt diese Arbeit?
Im Zentrum steht die Dekonstruktion des Begriffes unter dem Aspekt von „Geschlecht“ und seiner Bedeutung sowohl für die Christologie als auch für die Ekklesiologie. So sind etwa sowohl konkrete Vorstellungen von Kirche und deren Struktur als auch von Kirchenämtern und -diensten in der Kirche durch diverse Vorstellungen des männlich konfigurierten Leibes Christi geprägt, ebenso bestimmte christologische Konzeptionen und daran anschließende soteriologische, d.h. die Vorstellung von Heil und Erlösung betreffende Positionen. Zugleich wird gefragt, ob und inwiefern man auch „gendersensibel“ eine aktuelle Theologie des Leibes Christi formulieren kann.
Inwieweit führt die gendertheoretische Arbeit im Ganzen zu einer Neulektüre der Heiligen Schrift? Auf welche Bestandteile fällte der Fokus? Welche Relevanz kommt diesem Ansatz im theologischen Diskurs zu?
Die kritische Relecture der Heiligen Schrift ist bereits durch die Feministische Bibelhermeneutik geleistet worden. Insofern betritt die theologische Genderforschung hier kein Neuland, sondern knüpft an bereits Bestehendes an, etwa an die Kritik patriarchaler Gottes- wie Christusbilder. Hinzu kommt allerdings, dass nun nicht mehr „nur“ nach den verschütteten Frauentraditionen gefragt wird oder nach den Auswirkungen bestimmter Gottesbilder für Frauen, sondern dass auch die Perspektive von Männern explizit wird, die ja ebenso von den Geschlechterkonstruktionen betroffen sind, wenn auch in anderer Weise.
Welche Reaktionen ruft gendertheoretische Forschung in der Kirche hervor? In der Außenwahrnehmung gilt die katholische Kirche doch eher als Institution, die an einem traditionell-naturalistischen Verständnis von Geschlechtsidentitäten festhält.
Die Reaktionen reichen von großer Zustimmung – etwa aus den kirchlichen Verbänden oder aus dem „liberalen“ Spektrum – über Skepsis bis hin zu heftiger, ja polemischer Ablehnung aus den „konservativen“ Reihen. Teilweise nimmt die Debatte kulturkämpferische, fast schon groteske Züge an. Nichtsdestotrotz muss diese Debatte geführt und dringend versachlicht werden. Denn letztlich geht es darum, wie Kirche sich selbst versteht und sie ihr Verhältnis zur gegenwärtigen Gesellschaft bestimmt – und damit auch ihre Aufgabe, „Zeichen des Heils“ in und für die Welt zu sein.
„Der Papst ist in mehrerer Hinsicht ein Geschenk“, haben Sie im Domradio zum Thema Kirche in der Gesellschaft gesagt. Inwieweit sehen die das Thema Gleichberechtigung der Geschlechter auf der aktuellen Agenda?
Der Papst ist ein Geschenk, weil er eine Atmosphäre der Offenheit und des Freimuts in theologischen und kirchlichen Disputen befördert hat. Das mag von außen betrachtet wenig erscheinen, bedeutet aber innerkirchlich viel. Und Franziskus ist auch deshalb ein Geschenk, weil er die Aufmerksamkeit auf die drängenden globalen politischen Fragen gelenkt hat und dabei ganz klar Partei ergreift für die Armen, Schwachen, die Unterdrückten.
Allerdings erwarte ich mir in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit nicht allzu viel. Der Papst sieht zwar die Notwendigkeit, mehr Frauen in kirchliche Leitungsämter zu berufen, er scheut aber offensichtlich aufgrund der bisherigen lehramtlichen Formulierungen weiterhin davor zurück, die Tür zum Priesteramt zu öffnen. Es wird aber vermutlich Versuche geben, den Zusammenhang „Leitungsposition-Amt“ zu entzerren, um so Zugangsmöglichkeiten für Laien – und damit auch für Frauen – zu schaffen. Auch das ist von außen betrachtet nicht viel, aber innerkirchlich zumindest schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Auch auf dem Feld der Beziehungsethik wird es wohl wenig Veränderung geben. Franziskus ist zwar sozial progressiv, aber gesellschaftspolitisch kein Liberaler. Aber wer weiß – Mauern können bekanntlich fallen, ohne dass man damit rechnet.
Zum irischen Volksentscheid für eine Gleichstellung von homosexuellen Lebenspartnerschaften mit der Ehe gab es scharfe Kritik aus dem Vatikan. Inwieweit unterzieht gendertheoretische Forschung auch kirchliche Vorstellungen über gleichgeschlechtliche Beziehungen einer Revision?
Eine Bemerkung vorab: Es gab gegen die Formulierungen des Kardinalstaatssekretärs heftigen Einspruch auch aus Teilen diözesaner Kirchenleitungen in Deutschland. Das ist im Übrigen ein weiterer Beleg dafür, dass die innerkirchliche Diskursmentalität, auch befördert durch die Aufforderung des Papstes zum „Freimut“, aufbricht. Nun zur Frage: Ganz klar wirken bestimmte gendertheoretische Argumentationen auch auf die Kritik der tradierten naturrechtlich bzw. schöpfungstheologisch und aktmetaphysisch begründeten kirchlichen Lehre in Fragen der Anthropologie der Geschlechter und damit auch der Beziehungsethik und Sexualmoral ein. Das ist ja auch ein wesentlicher Grund, weshalb sie von denjenigen, die diese angestammte Lehre vertreten und verteidigen, so massiv bekämpft werden.

